AfA Impuls: Konjunkturbelebung nach Corona – Wirtschaft und Beschäftigung stabilisieren

Mit voller Wucht hat die Corona-Pandemie die sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten getroffen; die Wirtschafts- und Arbeitswelt erlebt seit Anfang März des Jahres eine ausgeprägten Angebots- und Nachfrageschock.

Mit mehr oder minder großzügig dimensionierten Stabilisierungsprogrammen versuchen Bund, Länder und Arbeitsverwaltung, die Volkswirtschaft am Leben zu erhalten. Doch die Mittel der öffentlichen Hände begrenzen nur zum Teil die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen. Die Verunsicherung durch diese Pandemie, von bislang ungekannter Größenordnung, ist sehr hoch. Die Pandemie verschärft zudem die Ungleichheit um ein vielfaches; das bleibt nicht ohne Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die wirtschaftliche Entwicklungsfähigkeit und das Vertrauen in die demokratischen Institutionen.

Es darf jetzt nicht abgewartet werden, in welchem Zustand sich die Wirtschaft- und Arbeitswelt nach einem Abklingen der Infektionswelle wirklich befindet. Die Einbrüche werden sich nicht von selbst korrigieren. Es ist also an der Zeit, etwas für die Konjunktur zu tun; die vier Ts  (aus dem Englischen) ergeben die Kriterien für ein Konjunkturprogramm: timely (frühzeitig), targeted (gezielt), temporary (zeitlich begrenzt) und transformative (umgestaltend). Heißt mit anderen Worten: Die Kriterien ergeben eine höchst  differenzierte Programmatik.

 

Eine gezielte Ausrichtung

Für die Einen hilft keine klassische Nachfrageförderung. In der Gastronomie können die ausgefallenen Speisen schlicht nicht nachgeholt werden. Zudem werden die Kapazitäten, so lange die Gefahr durch das Virus schwelt, weiterhin eng begrenzt bleiben müssen. Ähnliches gilt für kulturelle Veranstaltungen und Museen. Daher ist es sinnvoll, für diese Bereiche nicht die Nachfrage-, sondern die Angebotsbedingungen zu fördern. Die zeitlich befristete Senkung der Mehrwerteuer könnte in diesen Branchen, wie auch im gesamten Einzelhandel, hilfreich sein, nicht zur Preissenkung, sondern zur Stabilisierung der Eigenkapitaldecke, um entgangene Gewinne zu kompensieren. In eine ähnliche Richtung können Lohnkostenzuschüsse für diese Branchen wirken.

Für die Anderen (bei denen eine Kompensation durch erhöhte Nachfrage möglich ist) könnten Einmalzahlungen in Höhe von 600 Euro an alle mit einem Bruttojahreseinkommen bis zu 35.000 Euro/a helfen. Mit ihnen könnte eine zusätzliche Nachfrage, in regionalen Bekleidungsgeschäfte, Buchhandlungen und ähnliche Betriebe, erzeugt werden. Diese Einmalzahlung käme insbesondere denen zugute, die mit dem Beginn der Pandemie ihr unteren/mittleren Einkommen ganz und teilweise verloren haben. Weitere grundlegend geänderte und detailliertere nachfrageorientierte Konjunkturbelebungsmöglichkeiten werden im Folgenden stichwortartig zusammengetragen.

Hierzu kommt zudem die Anforderung zum Tragen, die Wirtschaft sozial-ökologisch umzugestalten. Die zusätzlichen staatlichen Ausgaben zur Anregung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage sollten in Bereiche fließen, die für eine nachhaltige Produktion und die Widerstandskraft der Volkswirtschaft von hoher Bedeutung sind. Wie von zwei Wirtschaftsforschungsinstituten – dem gewerkschaftsnahen IMK und dem arbeitgebernahen IW – kürzlich vorgeschlagen, sollten diese Mittel in die Bereiche Gesundheit, Wohnen, erneuerbare Energie, emissionsarme Verkehrsinfrastruktur, digitale Infrastruktur und Bildung fließen. Hier entsteht zukunftsträchtige Wertschöpfung. Zugleich wird durch einen quantitativen wie qualitativen Sprung in der Digitalisierung und im Gesundheits- sowie dem Bildungsbereich die Widerstandskraft der Volkswirtschaft, bei globalen Krisen wie der Pandemie, gestärkt.

 

Stützung der Kaufkraft

Aktuell wurde für etwa 10 Mio. Beschäftigte Kurzarbeit angezeigt. Deren Einkommen haben sich, trotz der gesetzlich angepassten oder tarifrechtlichen Aufstockungen, deutlich reduziert. Gerade und insbesondere Beschäftigte mit unteren und mittleren Einkommen sind hart getroffen. Ein grundlegend geändertes und detailliert nachfrageorientierteres Konjunkturprogramm muss entsprechende Stützungsmaßnahmen für die private Kaufkraft beinhalten; diese könnten u.a. sein: Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12,63 Euro; grundlegende Erhöhung des Kurzarbeitergeld auf 90 Prozent des Nettoeinkommens; Beendigung der Diskriminierung erwerbstätiger Studierender; Hartz IV durch ein deutlich höheres und sanktionsfreies Bürger:innengeld ersetzen; gute und tarifgebundene Arbeit fördern; prekäre und atypische Arbeit drastisch einschränken; Mieterschutz und öffentlichen-sozialen Wohnungsbau deutlich ausbauen; kulturelle Einrichtungen stärker öffentlich unterstützen; keine weitere De-Regulierung oder Liberalisierung des Arbeits- und Sozialrechts (bspw. Sonntagsöffnung, ArbZG, etc.); grundlegende Vermeidung zusätzlicher Lasten in den sozialen Sicherungssystemen (bspw. der GKV).

Wenn das gerade gewonnene Vertrauen in den Staat nicht wieder verloren gehen soll, dann darf sich die bittere Bilanz der Finanzmarkt- und Bankenkrise 2008/2009 „Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert“ nicht wiederholen. Staatshilfen für Unternehmen sind an Konditionen und Voraussetzungen zu knüpfen; ferner bedeutet dies konkret: Zum Abbau der Staatsschulden eine Transaktionssteuer nach den Vorschlägen der EU-Kommission, eine zeitlich begrenzte Vermögensabgabe, eine höhere Einkommenssteuer, die Ausweitung der Erbschaftssteuer, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und ein deutlich verbesserter Steuervollzug kurzfristig konsequent umsetzen. Und im Gegenzug auf eine Austeritätspolitik, „schwarzen Null“ und Schuldenbremse verzichten.

 

Investitionen staatlich beleben

  1. Zur Anregung privater Investitionen auf gezielt auf steuerliche Lösungen wie verbesserte Abschreibungsregelungen, nicht auf generelle Steuersenkungen, setzen. Die erweiterten Abschreibungen sollten zeitlich befristet sein, um einen Anreiz zu einer schnellen Planung und Umsetzung von Investitionen zu bieten. Denkbar wäre zum Beispiel eine vollständige Sonderabschreibung von Anlagegütern im Jahr der Anschaffung. Dies stärkt die Finanzierungskraft von Unternehmen und damit auch deren Bereitschaft zu investieren. Darüber hinaus wären folgende Maßnahmen zur Förderung privater Investitionen sinnvoll: Abwrackprämie für Ölheizungen verbunden mit Anreizen zum Einbau von regenerativer Kraft-/Wärmetechnik; Förderung energetischer Gebäudesanierung; Ausbau von Solar- und Windenergie; Förderung von klimaneutralen Anlagen in der Chemie-, Stahl- und Zementindustrie; Unterstützung der Autoindustrie durch Förderung von geänderter Antriebstechnik, Ladesäulen, Wasserstoff-, Brennstoffzellen- und Batteriezellenproduktion; Abnahmegarantien für im Inland produzierte medizinische Güter; steuerliche Vorteile für Forschung und Entwicklung sowie für die betriebliche Ausbildung speziell in kleinen und mittleren Unternehmen.

 

  1. Der Staat sollte zusätzlich die öffentlichen Ausgaben erhöhen: Damit würde ein Ausgleich für den Rückgang der privaten Nachfrage geschaffen und langfristige die wirtschaftliche Entwicklungsfähigkeit gestärkt. Ein Blick auf die verschiedenen staatlichen Ebenen zeigt deutlich, dass der größte Bedarf an öffentlichen Investitionen bei den Kommunen liegt. An dieser Stelle müssen Bund und Land unterstützend eingreifen. Zugleich soll der Staat Investitionen in öffentlichen Unternehmen vorantreiben. Maßnahmen könnten sein: Tilgung der Altschulden überschuldeter Kommunen durch einen einmaligen Beitrag; Einrichtung eines Fonds, der den Kommunen die Kosten für die Pandemie-Bekämpfung erstattet; zusätzliche Mittel für den Erhalt einer flächendeckenden Krankenhaus- und Notfallversorgung; Aufstockung der Mittel aus dem Kommunalinfrastrukturförderungsgesetz I für  finanzschwache Kommunen; mehr Bundesmittel für den Ausbau des schienengebundenen Nahverkehrs; Gründung eines Investitionsfonds des Bundes, der sich an öffentlichen Infrastrukturgesellschaften der Länder oder Kommunen beteiligt; Ausbau der Partnerschaft Deutschland (PD) – dabei handelt es sich um eine privatrechtlich organisierte Gesellschaft in öffentlicher Hand, die Kommunen und Länder in Fragen der Verwaltungsmodernisierung und bei der Planung von Bau- und Infrastrukturprojekten berät; Stärkung und Neugründung öffentlicher Unternehmen wie beispielsweise einer Infrastrukturgesellschaft Digitales oder einer europäischen Wasserstoff-Entwicklungsgesellschaft.

 

  1. Nicht zuletzt sollte der Staat die Investitionen in Bildung erhöhen. In der Krise ist einmal mehr deutlich geworden, wie sehr familiäre Unterschiede dem gesellschaftlichen Ziel gleicher Chancen für alle entgegenstehen. Viele Schulabgänger:innen würden keinen Ausbildungsplatz finden, weil die Bewerbungsphase in eine Zeit fällt, in der sich die Unternehmen mit Neueinstellungen zurückhalten. Aus ökonomischer Sicht ist es sinnvoll, jetzt staatliche Sonderprogramme mit verbesserten Konditionen zur betrieblichen Ausbildung von Fachkräften insgesamt, ebenso in Bereichen wie frühe Bildung und Pflege, aufzulegen. Ferner könnten Investitionen in diesen Bereichen hilfreich sein: Ausbau der frühen Bildung und Betreuung; Steigerung der pädagogischen Qualität in der Kindertagesbetreuung; Ausbau der ganztägigen Betreuung von Grundschulkindern; Digitalisierung von Schulen; Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Sonderprogramme für Beschäftigte in Erziehungs- und Pflegeberufen; Ausweitung des (Transformations-)Kurzarbeitergeldes in Kombination mit beruflicher Weiterbildung oder Umschulung.

 

Die notwendigen Maßnahmen sollten als Gesamtpaket verabschiedet werden, damit private Haushalte und Unternehmen frühzeitig wissen, womit sie planen können. Das bedeute nicht, dass alle Maßnahmen gleichzeitig verwirklicht werden müssen. Eine Umsetzung ist auch teils über mehrere Jahre vorstellbar. In dieser Zeit könnten zurzeit nicht vorhersehbare Anpassungen vorgenommen werden. Manche der vorgeschlagenen Investitionsausgaben können durchaus durch neue zusätzliche Kredite finanziert werden. Deutschland hat dafür die notwendigen finanziellen Spielräume: Die deutsche Staatsschuldenquote ist moderat und die Zinsen auf Bundesanleihen niedrig. Auch mit Blick auf künftige Generationen scheint eine Kreditfinanzierung sinnvoll – schließlich handelt es sich um Investitionen in die Zukunft, deren erwartete gesamtwirtschaftliche Rendite weit über dem Zinssatz für eine Neuverschuldung liegt.

 

Auf diese Weise wird die Binnennachfrage gestärkt. Davon profitieren letztlich mit einer Ausnahme alle Bereiche der Wirtschaft – die Ausnahme ist der für Deutschland so wichtige Exportsektor. Ihn kann man mit diesen Vorschlägen schwer erreichen. Daher ist unbedingt ein ergänzendes Konjunkturprogramm auf europäischer Ebene notwendig, mit dem wenigstens die unmittelbaren Exportmärkte Deutschlands gestärkt werden. Auch dieses Programm sollte gezielt und transformativ ausgestaltet sein. Dabei geht es um die Förderung europäischer öffentlicher Güter wie schneller und ökologischer Verkehrsverbindungen, klimaneutraler Energie und einer digitalen Infrastruktur auf Hochleistungsniveau. Von dem mit diesen Vorhaben verbundenen Ausgabenschub profitieren am Ende alle europäischen Märkte.