Stand 22.06.2020
A. Zeitablauf
- 5. März: Der erste Bestra-Bericht der Staatsanwaltschaft Kiel wird über den Generalstaatsanwalt an das Justizministerium gegeben
- 11. März: Ministerpräsident Günther nimmt Kenntnis vom Bericht
- 6. April: Ministerpräsident Günther, Justizministerin Süttlerin-Waack und LOStA (Leitenden Oberstaatsanwältin) Hess treffen sich in der Staatskanzlei
- 8. April: Ministerpräsident Günther, Justizministerin Süttlerin-Waack und CdS treffen sich in der Staatskanzlei
- 14. April: Ministerpräsident Günther konfrontiert Innenminister Grote mit den Vorwürfen
- 15. April: Innenminister Grote erstellt eine persönliche Erklärung, die er am 17. April an den Ministerpräsidenten übergibt
- 18. April: Ministerpräsident Günther übergibt die Erklärung an Justizministerin Süttlerin-Waack
- 20. April: Ministerpräsident Günther berät mit Justizministerin Sütterlin-Waack über die Erklärung
- 21. April: Die Staatsanwaltschaft Kiel erstellt einen zweiten Bestra-Bericht, Ministerpräsident Günther trifft sich am selben Tag mit LOStA Hess und der Justizministerin Süttlerin-Waack
- 22. April: Im Kabinett werden die von Grote vorgelegten Gesetzentwürfe zum Polizeirecht und der Reform des Kommunalen Finanzausgleiches vorgelegt
- 27. April: Ministerpräsident Günther bietet Justizministerin Süttlerin-Waack das Innenministerium und MdL Claussen das Justizministerium an, in der Staatskanzlei werden eine Rücktrittserklärung für Grote und Erklärungen für den MP mit unterschiedlichen Inhalten, alternativ zur Entlassung Grotes vorbereitet
- 28. April: Ministerpräsident Günther konfrontiert Grote mit dem zweiten BestraBericht; Regierungssprecher Höver stimmt die finale Rücktrittserklärung mit LOStA Hess ab; Innenminister Grote erklärt seinen Rücktritt; der ehemalige Innenminister wird von der zuständigen Stelle der Landesregierung gebeten, seine dienstlichen Geräte auf Werkseinstellung zurückzustellen
- 29. April: Ministerpräsident Günther berichtet auf Antrag der SPD im Innen- und Rechtsausschuss zum Rücktritt des Innenministers
- 7. Mai: Justizminister Clausen und Innenministerin Süttlerin-Waack berichten auf Antrag der SPD zu den Umständen und Abläufen, untern denen ihnen ihre neuen Ämter angetragen wurden; ebenfalls auf Antrag der SPD beschließt der Ausschuss über das Aktenvorlagebegehren
- 2. Juni: Das Innenministerium fertigt ein Protokoll über die Einsichtnahme zum Dienst-I-Pad des ehemaligen Innenministers an
- 9. Juni: Das Kabinett beschließt über das Aktenvorlagebegehren
- 16. Juni: Der ehemalige Innenminister Grote wendet sich in einem Schreiben an Mitglieder des Innen- und Rechtsausschusses
Persönliche Einordnung – Ralf Stegner
Ich möchte einordnend ein paar grundsätzliche Punkte anführen, die aus meiner Sicht für die hier diskutierte Thematik wichtig sind:
Erstens: Nach der Landesverfassung und § 6 Abs. 2 des Ministergesetzes kann der Ministerpräsident einen Landesminister ohne Angaben von Gründen entlassen. Wenn der Ministerpräsident allerdings Gründe und Umstände nennt, dann muss er dies gegenüber Landtag und Öffentlichkeit wahrheitsgemäß tun.
Zweitens: Es gibt Spielregeln für den Umgang mit der Presse. Der Politiker verrät keine Geheimnisse, der Journalist schützt seine Quellen. Aber der Umgang von beiden Gruppen – auch ohne Mikrofon und Block – gehört zu unserem Job und muss stattfinden können. Ähnliches gilt für den Umgang mit Personalräten oder Gewerkschaftsvertretern.
Drittens gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen persönlicher und öffentlicher Kommunikation – wir alle kommunizieren unter vier Augen, am Telefon oder per WhattsApp ganz anders als im offiziellen Schriftverkehr oder gar per Pressemitteilung. Für Chats gilt das ganz besonders, weil sie immer nur einen kleinen Ausschnitt einer Unterhaltung zeigen – ohne Kontext, ohne Wissen des üblicherweise zwischen zwei Kommunikationspartnern angeschlagenen Tons. Aus genau diesem Grund ist private Kommunikation besonders geschützt. Wir diskutieren im Kontext des Rücktritts von Innenminister Grote über persönliche Kommunikation, die als Beifang in einem Strafverfahren, das sich nicht gegen Herrn Grote richtete ausgewertet wurde und von der aufgrund von Indiskretionen Screenshots an die Öffentlichkeit gekommen sind. Alles, ohne dass Herrn Grote zu irgendeinem Zeitpunkt ein strafrechtlich relevanter Vorwurf gemacht worden wäre. Wir haben versucht das bei unserer Bewertung mitzudenken und mit entsprechendem Fingerspitzengefühl vorzugehen.
Viertens: war ich sehr befremdet über die Pressemitteilung des Kollegen Koch in der vergangenen Woche. Nachdem Herr Grote in einem Brief an Abgeordnete aus seiner Sicht Äußerungen des Ministerpräsidenten über sich selbst richtig stellte, äußerte Herr Koch, dass Herr Grote damit nachträglich bewiesen, für sein Amt nicht qualifiziert gewesen zu sein. Das ist eine wirklich schräge Sichtweise – wer sich gegen Vorwürfe wehrt und dabei auch auf tatsächliche Unrichtigkeiten und fehlerhafte Zitate hinweist, wird von den eigenen Parteifreunden dergestalt behandelt. Das habe ich in meinen langen Jahren in der Politik noch nicht erlebt. Und fünftens möchte ich in aller Kürze auf den möglichen Vorwurf eingehen, die SPD würde kurz vor der Sommerpause eine unnötige Skandalisierung betreiben.
Zur Einordnung: Es sind keine Sozialdemokraten, die sich seit Tagen via Presse angehen. Und wir reden hier immerhin über eine Kabinettsumbildung aus heiterem Himmel, mitten in der größten Krise des Landes seit dem zweiten Weltkrieg, in dem der für die innere Sicherheit des Landes zuständige Minister abgelöst wurde. Es war auch nicht unsere Verantwortung, dass die Landesregierung bis kurz vor der Sommerpause gebraucht hat, um einen Handvoll Akten zusammenzutragen. Das wäre sicherlich schneller gegangen.
C. Ergebnisse der Akteneinsicht
Vorwürfe gegenüber dem ehemaligen Innenminister Hans-Joachim Grote
Der Ministerpräsident sagte zur persönlichen Erklärung des früheren Innenministers am 29. April im Innen- und Rechtsausschuss: „Wenn man als Ministerpräsident mit einem Minister zusammenarbeitet, bei dem man feststellen müsse, dass der Inhalt einer schriftlichen Erklärung sich als unwahr herausstelle, so sei klar, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unmöglich sei.“ Das war der Kern der Begründung für den sogenannten Rücktritt.
Aus den Akten ergibt sich, dass Herr Grote in der persönlichen Erklärung – auf die der Ministerpräsident Bezug nimmt – versichert, keine vertraulichen oder persönlichen Informationen per WhatsApp, SMS oder E-Mail mit dem Gewerkschafter Nommensen oder dem Polizeireporter der Kieler Nachrichten, Bastian Modrow, ausgetauscht zu haben. Diese Erklärung wollte der Herr Ministerpräsident übrigens im Gegensatz zu den – Herrn Grote anscheinend belastenden Bestra-Vermerken – dem Innen- und Rechtsausschuss am 29.04. wegen „des sehr persönlichen Inhalts“ nicht zur Einsichtnahme zur Verfügung stellen. Den vollständigen – und ich füge hinzu – richtigen Inhalt dieser Erklärung, konnten wir erst bei der Akteneinsicht lesen.
Diese Aussage von Herrn Grote zitierte der Ministerpräsident auch im Ausschuss vom 29. April in einem Auszug wörtlich, allerdings ausweislich des Protokolls der Sitzung des Innenund Rechtsausschusssitzung vom 29. April 2020 (S. 6) an einer entscheidenden Stelle falsch. Denn indem er statt des von Grote bei einer Formulierung gewählten Konjunktives den Indikativ verwendet, wir ein Satz aus dieser Erklärung so verändert, dass der Vorwurf an Herrn Grote, hier unrichtige Angaben gemacht zu haben, schlüssig erscheint. Diese, so veränderte Aussage Grotes steht dann in der Tat im Widerspruch zu Erkenntnissen aus dem BeStra-Bericht. Auf diesem Vorwurf beruht nach Aussage des Herrn Ministerpräsidenten auch im Wesentlichen der Vertrauensverlust, der Herrn Grote schließlich das Amt kostete.
Die Screenshots der WhattsApp-Kommunikation aus dem Bestra-Bericht vom 21. April belegen einige wenige Kontakte von Herrn Grote und Herrn Nommensen bzw. Herrn Grote und Herrn Modrow. Sie sind vom Inhalt eher als belanglos zu bewerten. Über die Kommunikation zwischen Herrn Nommensen und Modrow möchte ich mich weder in Bezug auf Stil, noch auf Inhalt äußern. Bei der Kommunikation, an der Herr Grote beteiligt war handelt sich zum einen um ein Foto, das sich auf einen Vorgang in einer Pressekonferenz der Landespolizei bezieht und das mit einem unflätigen Kommentar versehen ist. Herr Grote erklärte in diesem Zusammenhang, dass er kein Foto mit einem beleidigenden Zusatz erhalten oder verschickt habe. Ich werde darauf später kurz zurückkommen.
Weitere Screenshots beziehen sich auf einen Vorfall bei der PD AFB in Eutin und eine alkoholreiche Feier, auf die Herr Grote durch den Journalisten aufmerksam gemacht wurde und auf einen Austausch zu einem Interview, das der Minister den Kieler Nachrichten in einer anderen Sache gegeben hatte. All das ist zeitlich eng begrenzt und weder in Inhalt noch Form ungewöhnlich.
Ferner ergibt sich aus den Akten, dass die persönliche Erklärung das Angebot von Herrn Grote enthält, durch die Staatsanwaltschaft Kiel oder alternativ einen Mitarbeiter der Staatskanzlei alle Kommunikation einzusehen, die sich auf seinem Handy bzw. Tablet befände. Das ist einerseits ein sehr ungewöhnliches Angebot und bot zugleich niedrigschwellig der Staatskanzlei die Möglichkeit, die Angaben von Hans-Joachim Grote zu verifizieren. (Technisch ist dies übrigens immer noch möglich.)
Aus den Akten ergibt sich nicht, dass Herr Grote entgegen seiner persönlichen Erklärung mit Herrn Modrow oder Herrn Nommensen vertrauliche oder persönliche Informationen ausgetauscht hat. Erst recht enthalten die Akten keine Belege für Dienstpflichtverletzungen des früheren Innenministers Hans-Joachim Grote. Den vom Ministerpräsidenten öffentlich vorgebrachten Vorwurf einer unwahren schriftlichen Erklärung konnten wir durch die Akten definitiv nicht bestätigen. Sofern in einer Presseveröffentlichung vom Wochenende (Welt) die Formulierung „ich werde Sie weiter auf dem Laufenden halten“ aus den Chat-Protokollen zum Nachweis darüber angeführt wird, Herr Grote habe vertrauliche Informationen an den Journalisten weitergegeben, stimmt der Kontext nicht. Hier hatte vielmehr der Journalist Herrn Grote über einen Missstand informiert und der Minister diesem wiederum mitgeteilt, dass das Problem abgestellt wird. Das hätte auch ohne weiteres Gegenstand einer öffentlichen Berichterstattung werden können, die aber, wohl aufgrund dieser Information, unterblieb, was sicher nicht zum Schaden der Landespolizei war.
Rücktrittserklärung des ehemaligen Innenministers Hans-Joachim Grote
Am 27. April um 20.57 Uhr übersandte der Chef der Staatskanzlei Dirk Schrödter dem Regierungspressesprecher Peter Höver einen Text, der wahlweise als Rücktritts- oder Entlassungserklärung des Innenministers für den kommenden Tag vorgesehen war, der Entwurf lässt ausdrücklich beide Möglichkeiten offen. Dies ist vom Stil her bemerkenswert, da das zweite Gespräch zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Innenminister erst am folgenden Tag stattfand. Es ist aber auch vom Inhalt bemerkenswert.
Denn der Entwurf sah vor, dass Herr Grote erklären sollte, dass er die nötige Neutralität gegenüber Arbeitnehmervertretungen verletzt und sich allzu eng an eine Gewerkschaft gekoppelt habe, zudem gegenüber der Presse dergestalt aufgetreten zu sein, dass er als Minister angreifbar geworden sei bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben als Innenminister Grenzen überschritten habe zu dem, was ein Minister tun und ein Minister nicht tun sollte;
- als oberster Dienstherr der Polizei Zwist in der Landespolizei ausgelöst habe;
- Fehler begangen habe, die dazu führen könnten, dass er in eine Zeugenrolle in möglichen Strafverfahren geraten könne;
- bei seinen Personalentscheidungen zur Spitze der Landespolizei von 2017/18 bereits von solchen Grenzüberschreitungen negativ beeinflusst worden sei und dass er aus all diesen Gründen nicht mehr Mitglied der Landesregierung sein könne.
Aus den Akten ergibt sich, dass es in den folgenden Stunden noch mehrere Entwürfe für die Erklärung gab. Eine Endfassung lag erst am 28. April kurz vor einem Gespräch des Ministerpräsidenten mit Minister Garg und Ministerin Heinold vor, in dieser Fassung waren die Vorwürfe nicht mehr enthalten.
Aus den Akten ergibt sich auch, dass diese Vorwürfe Herrn Grote nicht zur Kenntnis gelangt sind. Das hat Herr Grote mir gegenüber auch ausdrücklich bestätigt. Sie belegen aber einen äußerst ungewöhnlichen Vorgang innerhalb der Landesregierung und interne Vorwürfe gegenüber dem Innenminister, die durch die vorgelegten Akten in keiner Weise belegt werden. Dass man sich am Abend des 27. Aprils in der Staatskanzlei ebenso auf einen Rücktritt wie auf eine Entlassung vorbereitete, ist ein weiteres bemerkenswertes Detail.
Während der scheidende Innenminister nach Aktenlage weder den ursprünglichen Entwurf für seine Rücktrittserklärung kannte noch nach eigener Aussage die Inhalte der BestraVermerke, hat der Regierungspressesprecher Peter Höver die spätere finale Presseerklärung zum Rücktritt und das Statement des Ministerpräsidenten laut der vorgelegten Akten aus dem Justizministerium mit der Kieler Oberstaatsanwältin Heß abgestimmt, bevor sie veröffentlicht wurde.
Die Mail enthält lapidar die Worte „wie abgesprochen“. Eine Kabinettsumbildung mit der örtlichen Staatsanwaltschaft abzustimmen ist politisch hochgradig ungewöhnlich und mir in meiner bisherigen Laufbahn nicht einmal untergekommen. Wenn ernsthafte Bedenken der Landesregierung zu Auswirkungen auf ein Strafverfahren bestanden hätten, wäre Ansprechpartner die Justizministerin oder die Generalstaatsanwaltschaft gewesen und an eine solche Anfrage zur Prüfung sollten auch höhere Anforderungen als „wie abgesprochen“ bestehen. Es stellt sich daher die Frage nach dem Kontext des so abgesprochenen. Dieser Vorgang wirft ein bedenkliches Schlaglicht auf das Nahverhältnis von Staatsanwaltschaft Kiel, der Staatskanzlei und dem Ministerpräsidenten.
Löschung der Handy-/ Tablet-Daten
Im Begleitschreiben zum Aktenvorlagebegehren des Chefs der Staatskanzlei vom 9. Juni heißt es, dass
„beim Versuch der Sichtung seines [Hans-Joachim Grotes] dienstlichen iPads sowie des dienstlichen iPhones nach aktenrelevanten lokalen Daten (…) festgestellt wurde, dass das dienstliche iPad und dienstliche iPhone auf Werkseinstellungen zurückgesetzt waren“.
Weiter wird detailliert geschildert, dass die Geräte am 30. April bei Herrn Grote abgeholt und anschließend bis zur Sichtung am 2. Juni in einem Tresor verwahrt worden wären. Veränderungen seien seitens des Innenministeriums weder vorgenommen noch angewiesen worden.
Der versuchte Zugriff ist auch in den Akten auffallend umfangreich dokumentiert. Unklar bleibt, ob eine Wiederherstellung der Inhalte über die Cloud möglich wäre und ob dies durch das Innenministerium versucht wurde.
Auch nach Aussage des ehemaligen Innenministers wurden die dienstlich zur Verfügung gestellten Geräte am 30. April bei ihm durch einen Fahrer abgeholt, um an die betreuende Fachdienststelle zurückgegeben zu werden. Er habe die Geräte nach Rücksprache mit Dataport, dem IT-Dienstleister der Landesverwaltung, auf Werkseinstellungen zurückgesetzt. Dieses Verfahren zwischen Dataport und der IT-Stabsstelle der Landesregierung sei üblich gewesen, bei vorherigen Wechseln von Geräten bereits mehrfach praktiziert, weil sich auf den Geräten auch privaten Fotos und Bankzugänge befunden hätten. Dennoch sei alles rekonstruierbar. Alle dienstlichen Vorgänge seien auf dem Landesserver abgelegt. Seine persönlichen, insbesondere WhattsApp-Verläufe seien in der Cloud abgelegt und gespeichert. Herr Grote hat wiederholt Einsichtnahme, auch in seine privaten Daten, angeboten. Auch aus den Akten ergibt sich, dass Herr Grote bereits in seiner persönlichen Erklärung vom 15. April angeboten hat, durch die Staatsanwaltschaft Kiel oder alternativ einen Mitarbeiter der Staatskanzlei alle Kommunikation einzusehen, die sich auf seinem Handy bzw. Tablet befände. Ein Angebot von dem die Landesregierung unseres Wissens nach keinen Gebrauch gemacht hat.
Warum der Chef der Staatskanzlei dies gegenüber den Mitgliedern des Ausschusses mit keinem Wort erwähnt, die Ereignisse aber dergestalt schildert, dass sich der Eindruck, Herr Grote habe Dinge verschleiern wollen, quasi aufdrängt, bleibt unklar.
Offene Fragen
Aus unserer Sicht bleibt nach der Akteneinsicht und diversen Gesprächen eine ganze Reihe von offenen Fragen, die schnell und umfassend aufgeklärt werden müssen. Ich werde dafür dem Herrn Ministerpräsidenten morgen einen Brief mit ca. 25 konkreten Fragen übersenden. Es liegt jetzt an der Landesregierung, zügig plausible Antworten zu liefern. In einigen Bereichen, bei denen sich schon jetzt nachweislich zeigt, dass die bisherige Schilderung unzutreffend ist, wird eine Richtigstellung durch die Regierung unerlässlich sein. Von den Antworten der Landesregierung wird unser weiteres Vorgehen abhängen. Unsere offenen Fragen betreffen verschiedene Komplexe, von denen ich drei kurz skizzieren möchte.
1. Gründe für den Rücktritt/ die Entlassung des Innenministers
Ministerpräsident Daniel Günther hat unbestritten das Recht, Kabinettsmitglieder ohne Nennung von Gründen zu entlassen. Nennt er Gründe, müssen diese allerdings der Wahrheit entsprechen. Offiziell nannte Ministerpräsident Günther unwahre schriftliche Angaben des Innenministers zu seinen Kontakten zu Modrow und Nommensen und daraus resultierendes fehlendes Vertrauen als Gründe. Ich habe dargelegt, warum dieser Vorwurf aus unserer Sicht nicht zutrifft. Der Entwurf des Chef der Staatskanzlei und des Regierungssprechers zur Rücktrittserklärung vom 27. April deutet allerdings darauf hin, dass ganz andere Gründe ausschlaggebend gewesen sein könnten, weil nämlich intern eine Reihe von Vorwürfen gegen den Innenminister im Raum standen, die bis zu den Personalentscheidungen zur Polizeispitze 2017/18 zurückreichen (Muhlack, Höhs).
Bewertet man die Gesamtumstände des Rücktritts, kommt man zu dem Ergebnis, dass Herr Grote weder die Unwahrheit gesagt hat (jedenfalls lässt sich das in keiner Weise belegen), noch seine Dienstpflichten verletzt hat, keine Geheimnisse preisgegeben hat und auch keine ungewöhnlichen oder ungebührlichen Kontakte zu Gewerkschaftsvertretern oder Journalisten unterhalten hat. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob andere Gründe dafür ausschlaggebend waren, dass von Seiten der Staatskanzlei der Rücktritt des Innenministers betrieben wurde. Nicht zuletzt der Entwurf für die Rücktrittserklärung zeigt, dass die Staatskanzlei an dieser Stelle mit der Ablösung der Polizeispitze in 2017/18 einen Vorgang für relevant hält, der auch einen Komplex des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses betrifft. Dessen Arbeit im Übrigen noch nicht beendet ist, der in Teilen von der CDU für überflüssig gehalten wird und dessen ehemaliger Vorsitzender jetzt zum Justizminister aufgestiegen ist.
Es ist zudem ein Vorgang, der bei aller Phantasie schon zeitlich in keinerlei Zusammenhang mit dem Bestra-Bericht und den somit offiziell angeführten Gründen stehen kann. Und es ist auch ein Vorgang, bei dem sich die Frage stellt, ob hier die Rehabilitierung von Personen (Muhlack, Höhs) betrieben werden sollte, indem Entscheidungen des verantwortlichen Innenministers in ein höchst zweifelhaftes Licht gerückt werden.
Vor diesem Hintergrund müssen auch die zeitlichen Abläufe des Rücktritts neu bewertet werden, weil ganz offensichtlich Vorbehalte in der Staatskanzlei gegenüber dem ehemaligen Innenminister bereits längere Zeit bestanden. Ministerpräsident Günthers ursprüngliche Schilderung, erst im zweiten Gespräch am 28. April habe sich bestätigt, „dass die Nachrichten auch auf dem Handy von Herrn Grote gespeichert gewesen seien“ und er daraufhin Herrn Grote gegenüber zum Ausdruck gebracht habt, dass das Vertrauen für eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr gegeben sei, ist nachweislich falsch. So wurde nach Akten bereits am Vortag in der Staatskanzlei an einer Rücktrittserklärung gearbeitet und beiden designierten Ministern nach eigener Aussage gegenüber dem Innenausschuss bereits am Vortag ein Jobangebot unterbreitet. Anzumerken ist auch, dass Herr Günther nach Aussage von Herrn Grote zu keinem Zeitpunkt das Angebot auf Überprüfung des Diensthandys angenommen und somit nicht festgestellt haben kann, welche Nachrichten auf Herrn Grotes Handy gespeichert oder eben nicht gespeichert waren. Die Frage, ab welchem Zeitpunkt und unter Einbindung welchen Personenkreises in der Staatskanzlei an der Ablösung des Innenministers gearbeitet wurde, bleibt offen.
2. Rolle der Staatsanwaltschaft Kiel
Ich konzentriere mich hierbei ganz auf die Affäre Günther/Grote und verkneife mir jeden Hinweis auf andere ebenso bemerkenswerte Vorgänge und Verfahren.
Die „Berichtspflichten in Strafsachen“ sind in dieser Angelegenheit in den Focus der Diskussion gerückt. Ich möchte hierzu klarstellen, dass den sog. „BeStra-Berichten“ grundsätzlich nichts anrüchiges oder skandalöses anhaftet, sie sind vielmehr ein Kommunikationsmittel zwischen Staatsanwaltschaft und Justizministerium deren Anlass und Inhalt durch die „Anordnung über Berichtspflichten in Strafsachen (BeStra) untergesetzlich geregelt ist. Sinn und Zweck dieser Berichte ist es, das für die Organisation und Durchführung der Strafrechtspflege in diesem Land politisch verantwortliche Justizministerin oder den Justizminister in die Lage zu versetzen, in bedeutsamen Strafverfahren, ich zitiere aus Nr. 3 Abs. 2 BeStra: „zeitnah die Sach- und Rechtslage zu beurteilen, die ihr / ihm von Gesetzes wegen obliegende Aufsicht auszuüben und auf Nachfragen Dritter Auskunft zu geben.“
Es ist in diesem Fall sicher nicht zu beanstanden, dass die StA Kiel über den Fall des ehemaligen stellvertretenden Landesvorsitzenden einer Gewerkschaft an das Justizministerium berichtet und dabei auch Details aus den Ermittlungsakten weiterleitet, da diese ja in der Sphäre der Organe der Rechtspflege unseres Landes verbleiben. Große Sorgfalt bei der Auswahl dieser Informationen ist aber dann anzuwenden, wenn diese Informationen nicht nur den Beschuldigten, sondern Dritte betreffen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es um rechtlich besonders geschützte Informationen dieser Dritte geht, wie z.B. Telekommunikationsdaten, für deren Erlangung sonst ein richterlicher Beschluss notwendig wäre. Problematisch wird es dann, wenn diese Informationen die Sphäre des Justizministeriums verlassen.
Hier wären nach unserer Vorstellung abermals mit großer Sorgfalt zu prüfen gewesen, welche Informationen für die Unterrichtung des Ministerpräsidenten von wesentlicher Bedeutung sind und welche nicht. Dies ist umso wichtiger, wenn im vorliegenden Fall die Weitergabe der offenbar ungekürzten Berichte an die Staatskanzlei erfolgt und diese dann im folgenden Verlauf völlig außer Kontrolle geraten ist und die Berichte nunmehr mindestens in Auszügen an jedem Zeitungskiosk erhältlich sind. Es wird daher nicht einfach sein, für das Strafverfahren gegen den beschuldigten Polizisten in diesem Land noch einen haupt- oder ehrenamtlichen Richter zu finden, der von diesem Vorgang völlig unvoreingenommen sein Urteil fällen kann. Ob das der Strafrechtspflege dient, darf bezweifelt werden.
Ob hier in angemessener Weise von dem Instrument des BeStra-Berichtes Gebrauch gemacht wurde, wird jetzt durch die Datenschutzbehörden geprüft werden. Wir werden das sehr aufmerksam verfolgen.
Nach dem ersten Bestra-Bericht und dem darauf folgenden Gespräch von Ministerpräsident Günther und Innenminister Grote erstellte dieser eine persönliche Erklärung, die am 17. April an den Ministerpräsidenten übergeben wurde. Der Ministerpräsident reichte diese Erklärung zur „Bewertung“ an die Justizministerin weiter und beriet darüber mit ihr nach eigener Aussage im Ausschuss „wahrscheinlich“ am 19. April – das war im Übrigen ein Sonntag – oder am 20. April.
In bemerkenswerter zeitlicher Nähe zu diesem Gespräch erstellte die Staatsanwaltschaft Kiel am 21. April einen weiteren Bestra-Bericht, der in der Folge von Ministerpräsident Günther verwendet wurde, um Innenminister Grote angebliche Unwahrheiten nachzuweisen. Die Leitende Oberstaatsanwältin Hess berichtete dazu im Innen- und Rechtsausschuss, sie habe sich „eigeninitiativ“ zum neustes Ermittlungsstand erkundigt und diesen nachberichtet, da der erste Bestra-Bericht aufgrund ausstehender Auswertungsergebnisse „unvollständig“ gewesen sei.
LOStA Hess, Justizministerin Sütterlin-Waack und Ministerpräsident Günther standen im April in regelmäßigem Austausch. Sogar die Rücktrittserklärung Grotes und das Statement des Ministerpräsidenten wurden mit LOStA Hess rückgekoppelt.
Günther betonte später im Innenausschuss am 29. April selber, es habe im ersten Bericht keine Belege für direkte Kommunikation von Grote zu Modrow/ Nommensen gegeben. Diese Belege, die Innenminister Grote in der Folge zum Vorwurf gemacht werden sollten, lieferte der zweite Bestra-Bericht. Sie wissen, dass ich aus einem Bestra-Bericht nicht zitieren darf, auch wenn die meisten Anwesenden im Raum ihn durch Indiskretionen vorliegen haben dürften. Wer beide Bestra-Berichte miteinander vergleicht wird feststellen, dass der erste Bericht tatsächlich berichtet. Beim zweiten Bericht kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass seitens der Staatsanwaltschaft vorgegangen wird, als würde man einem konkreten Verdacht in einem Strafverfahren nachgehen bzw. versuchen, Verdachtsmomente zu erhärten. Die Bewertung will ich Ihnen überlassen bzw. all denen, die diesen Bericht vorliegen haben. Gegen den ehemaligen Innenminister gab es aber keine Vorermittlungen oder ähnliches. Insofern ist es ein extrem bemerkenswerter Vorgang. Wer hat was wozu benutzt?
3. Äußerungen des Ministerpräsidenten im Innen- und Rechtsausschuss
Der ehemalige Innenminister Grote wies am 16. Juni in einem Schreiben an Abgeordnete darauf hin, dass Ministerpräsident Günther nach seiner Ansicht den Innen- und Rechtsausschuss falsch über die Umstände seines Rücktritts informiert habe. Herr Grote habe demnach gegenüber dem Ministerpräsidenten beim Gespräch am 28. April anders als dargestellt die Vorwürfe des zweiten Bestra-Berichtes durchaus bestritten, insbesondere die Authentizität des mit einer unflätigen Kommentierung versehenen Fotos aus dem Bericht bestritten und dem Ministerpräsidenten das Originalbild ohne unflätigen Kommentar auf seinem Handy gezeigt.
Die Beschriftung des Bildes zeigt, dass der Bestra-Bericht sich an dieser Stelle eindeutig fälschlicherweise auf Kommunikation zwischen Nommensen und Modrow und nicht zwischen Modrow und Grote bezieht.
Ministerpräsident Günther hat dem Ausschuss über die Entkräftung des Vorwurfs durch den Innenminister nicht berichtet. Sollte der Ministerpräsident dem Einwand des Innenministers nicht nachgegangen sein, wäre dies ein großes Versäumnis, zumal am Ende die Glaubwürdigkeit des Innenministers bzw. seine Entlassung auf dem Spiel standen. Zusätzlich muss dringend geklärt werden, wie und warum das Foto mit dem unflätigen Kommentar („Arschloch“) in den Bestra-Bericht gelangen konnte. Wer hat hier unabsichtlich oder absichtlich die Unwahrheit berichtet? Dies gilt insbesondere, weil dieser Bericht für den MP nach dessen Angaben die entscheidende Rolle gespielt hat (auch wenn wir das nach der Akteneinsicht inzwischen bezweifeln).
E. Fazit
Ein Ministerpräsident kann einen Landesminister ohne Angaben von Gründen entlassen, wenn er aber Gründe und Abläufe schildert, muss das der Wahrheit entsprechen. Die Öffentlichkeit und auch wir als Opposition haben den Anspruch, dass die Landesregierung auch bei Details der Darstellung bei der Wahrheit bleibt. Auch durch eine Akteneinsicht lässt sich selten mit Gewissheit rekonstruieren, wie Dinge sich zugetragen haben. Aber wir können nach Sichtung der Akten und Bewertung der Gesamtumstände mit einiger Sicherheit sagen, dass die Darstellung der Regierung durch unsere Erkenntnisse in keiner Weise gedeckt wird. Und wir stellen zusätzlich fest, dass von Seiten der Landesregierung und insbesondere der Staatskanzlei mit einigem Aufwand versucht wird, im Zusammenhang mit dem Rücktritt Nebelkerzen zu zünden und Dinge in ein anderes Licht zu rücken.
Es ist eine pikante Randbeobachtung, dass auf einen Zeitungsartikel vom 22. Mai, in dem der Verdacht geäußert wurde, Herr Grote habe auf Änderungen im sogenannten Buß-Bericht gedrängt, von der neuen Innenministerin mit keinem Wort richtig gestellt wurde. Diese Richtigstellung erfolgte dann durch die Privatperson Klaus Buß. Also: Wir wissen natürlich nicht, wie es war. Aber wir wissen ziemlich genau, dass Abläufe und Begründungen mit dem der Amtswechsel gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit erklärt wurden, nicht der Wahrheit entsprechen können. Ein Ministerpräsident, der in einer solch wichtigen Angelegenheit das Parlament und die Öffentlichkeit belügt, das wäre keine Kleinigkeit. Wir warten nun gespannt die Antworten auf unsere Fragen an den Ministerpräsidenten ab – die sicher keines falls nur die Opposition interessieren dürften – und behalten uns weitere Schritte ausdrücklich vor.
Danach:
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