Erkenntnisse zur Kabinettsumbildung und der Entlassung von Ex-Innenminister HansJoachim Grote nach Auswertung des Fragenkataloges an die Landesregierung

Der Ministerpräsident hat am 23. Juni einen Brief mit 31 Fragen erhalten, in denen auf Widersprüche, Ungereimtheiten und Unklarheiten Bezug genommen wurde, die sich aus unserer Sicht aus der Akteneinsicht und der Stellungnahme des Ministerpräsidenten im Innen- und Rechtsausschuss am 29. April ergeben haben. Auf diese Fragen haben wir gestern Antworten erhalten.

Bild: Geisteskerker (Pixabay)

Stand 02.07.2020

Der Ministerpräsident hat am 23. Juni einen Brief mit 31 Fragen erhalten, in denen auf Widersprüche, Ungereimtheiten und Unklarheiten Bezug genommen wurde, die sich aus unserer Sicht aus der Akteneinsicht und der Stellungnahme des Ministerpräsidenten im Innen- und Rechtsausschuss am 29. April ergeben haben. Auf diese Fragen haben wir gestern Antworten erhalten. 
Der Chef der Staatskanzlei hat in dem stilistisch hoch bemerkenswerten Begleitschreiben die Erwartung formuliert, dass wir die Öffentlichkeit über die Antworten umfassend informieren. Dem kommen wir sehr gerne nach und stellen Ihnen im Anschluss an meine Ausführungen eine umfangreiche Synopse mit unseren Fragen, den Antworten der Landesregierung und unseren Bewertungen dazu zur Verfügung.

Statement von Ralf Stegner

Ralf Stegner

Ich will zu Beginn drei schwerwiegende Fehler einräumen, die uns unterlaufen sind und die ich gerne offensiv benennen möchte, weil sie nach meiner Wahrnehmung für die Landesregierung allerhöchste Priorität haben:

  • zum einen haben wir eine Frage doppelt gestellt, die Landesregierung hat den Lesetest aber mit Bravour bestanden und uns diesen Lapsus nicht durchgehen lassen;
  • zum zweiten haben wir eine Vorsilbe in einer Mail des Regierungssprechers an die Leitende Oberstaatsanwältin aus Kiel vertauscht und aus abgesprochen besprochen gemacht, inhaltlich ändert sich dadurch an unserer Darstellung natürlich nichts;
  • und zum dritten haben wir uns auf das Protokoll der Landtagsverwaltung verlassen, das eine Aussage des Ministerpräsidenten im falschen Modus wiedergegeben hat. Eine Korrektur des Protokolls der Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses vom 29. April 2020 ist inzwischen erfolgt, so dass die diesbezügliche Frage natürlich damit ihrer Grundlage entbehrt.

Lassen Sie mich aber zu den wesentlichen Punkten kommen. Bei einer Reihe von Punkten konnte die Landesregierung für Klarheit sorgen und Vorgänge konkreter darstellen, das hilft bei der Einordnung. Bedauerlicherweise wurden aber wesentliche Fragen nicht beantwortet, andere teils bewusst irreführend. Sie finden dazu bei allen Fragen in der Synopse eine kurze Einordnung. Ich will auf die drei entscheidenden Komplexe kurz eingehen und im Anschluss darstellen, was sich für uns daraus ergibt.

 

1. Nicht zutreffende Äußerungen des Ministerpräsidenten

Ich habe in unserem Pressegespräch am vergangenen Montag ausführlich dargestellt, warum nach unseren Erkenntnissen der Ministerpräsident die Öffentlichkeit und das Parlament über die Gründe für den Rücktritt des ehemaligen Innenministers Grote falsch informiert hat. Wie Sie wissen finden sich in den Akten ein Entwurf des Chefs der Staatskanzlei für die Rücktritts- oder Entlassungserklärung vom Vorabend, in dem Herrn Grote schwerwiegende Vorwürfe gemacht werden, die sich eklatant von dem unterscheiden, was der Ministerpräsident am Folgetag angeführt hat. Diese Gründe reichen wie dargestellt bis zur Entlassung der ehemaligen Polizeiführung in 2017/ 2018 zurück. Diese Gründe tauchen wiederum in einer Fassung nur kurz  vor der Veröffentlichung der endgültigen Erklärung auf, welche diese Vorwürfe aber nicht enthält. Wir haben den Ministerpräsidenten schriftlich gebeten darzulegen, warum diese Gründe nicht in die finale Fassung der Erklärung nicht übernommen wurden. Der Ministerpräsident hat auf diese Frage ausdrücklich nicht geantwortet und damit leider die Chance zur Klarstellung nicht genutzt.

Wir hatten zuvor bereits den Eindruck, dass der Innenminister in seiner eigenen Partei teilweise isoliert war. Unsere Akteneinsicht hat aber eindeutig gezeigt, dass es massive Kritik an Entscheidungen des ehemaligen Innenministers gegeben hat, die bis an die Spitze der Staatskanzlei geteilt wurden und die dem Chef der Staatskanzlei gewichtig genug erschienen um festgehalten zu werden. Ich werde abschließend noch etwas dazu sagen, was sich für uns daraus ergibt, dass der Ministerpräsident diese Vorwürfe in seinem schlussendlich abgegeben Statement nicht wiederholt hat.

Wir haben in der vergangenen Woche ebenfalls die Frage aufgeworfen, ob bereits zu einem deutlich früheren Zeitpunkt der Rücktritt bzw. die Entlassung des Innenministers vorbereitet wurde. Dazu haben wir dem Ministerpräsidenten drei Nachfragen zu einem Gespräch gestellt, dass zwischen ihm und der damaligen Justizministerin am 8. April stattfand. Auf unsere Nachfrage, ob in diesem Gespräch Entscheidungen getroffen oder vorbereitet wurden hat der Ministerpräsident nicht geantwortet und stattdessen auf die eigenen Ausführungen im Innenausschuss verwiesen, durch die er bereits umfassend und vollständig geantwortet habe. Das hat uns sehr verwundert, denn ausweislich des Protokolls des Ausschusses hat der Ministerpräsident dieses Gespräch im Ausschuss gar nicht erwähnt, wir hatten davon erst aus der Akteneinsicht erfahren. Diese Antwort ist also – sehr freundlich formuliert – irreführend. Parlament und Öffentlichkeit werden jetzt erneut falsch informiert und für uns bleibt unklar, ob bereits Anfang April zwischen dem Ministerpräsidenten und der damaligen Justizministerin, die wenig später Innenministerin werden sollte, Entscheidungen getroffen oder vorbereitet wurden, die zu Lasten des damaligen Innenministers gingen.

Es ist nachvollziehbar, dass die Koalitionsfraktionen an der Aufklärung dieser Punkte bedeutend weniger Interesse haben als wir als Opposition. Einer Ihrer Kollegen hat den Sinneswandel der Grünen in einem Interview vom heutigen Tage ja durchaus treffend herausgearbeitet. Die gemeinsamen Pressemitteilungen der Koalitionsfraktionen von gestern und heute zeigen, dass die Aufregung ganz offenbar groß ist. Aber interessant ist auch, dass in diesen gemeinsamen Erklärungen auf bedenkliche Entwicklungen mit Blick auf die Staatsanwaltschaft Kiel nicht weiter eingegangen wurde. Wir haben den entschiedenen Eindruck, dass wir mit unserem Interesse an Aufklärung in diesem Punkt zumindest mit Teilen der Koalition übereinstimmen.

2. Unangemessenes Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Ministerpräsident

Es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass sich das Verhältnis von Staatsanwaltschaft Kiel und Landesregierung erheblich verändert hat. Einige mögen sich erinnern: In der vergangenen Legislaturperiode taucht die Staatsanwaltschaft mit Durchsuchungsbefehl in der Staatskanzlei auf und beschlagnahmte die Handys von Staatssekretären – heute nimmt die Leitenden Oberstaatsanwältin an gemeinsamen Runden mit dem Ministerpräsidenten teil und es herrscht ein reger Austausch.

Das ist für sich nicht illegal, bemerkenswert ist es allemal.
Dem Chef der Staatskanzlei war es ein besonderes Anliegen zu betonen, dass die Rücktrittserklärung auf seinen eigenen Vorschlag vom Regierungssprecher mit der Leitenden Oberstaatsanwältin Hess nicht abgesprochen wurde, sondern dass der Text wie besprochen übersandt wurde. Die veränderte Vorsilbe ändert nichts daran, dass dieser Vorgang absolut inakzeptabel und nach unserem Kenntnisstand in der jüngeren Vergangenheit beispiellos ist. Der Ministerpräsident hat unsere Frage, warum dieser Austausch nötig war, damit beantwortet, dass geprüft werden sollte, ob durch Formulierungen das laufende Ermittlungsverfahren gefährdet werden könnte. Dies wäre selbst dann nicht plausibel, wenn man mit dem Veröffentlichung der Pressemitteilung auf die Rückmeldung der Leitenden Oberstaatsanwältin gewartet hätte – genau dies ist allerdings nach Auskunft des Ministerpräsidenten noch nicht einmal passiert.

Es bleibt weiterhin unklar, welchen Zweck die direkten Kontakte der Leitenden Oberstaatsanwältin und des Ministerpräsidenten, bzw. der Justizministerin hatten und warum  dabei in dieser schwerwiegenden Angelegenheit explizit auf den Dienstweg über den Generalstaatsanwalt verzichtet wurde.

Aus aktuellem Anlass noch ein Wort zur Bedeutung der völlig unkontrollierten Veröffentlichung der BreStra-Berichte in diesem Fall, ich hatte in der letzten Pressekonferenz dazu schon etwas gesagt. Heute muss man in einer Tageszeitung lesen, wie einem Angeordneten der Koalitionsfraktionen in einem Interview ein wörtlicher Vorhalt aus den, in dem Bericht enthaltenen Chats des Beschuldigten mit einem Journalisten gemacht wird, um diesen zu einer politischen Äußerung hinsichtlich des rassistischen Inhaltes der Formulierungen zu veranlassen.

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass dieser Chat, so fragwürdig die Wortwahl auch sein mag, überhaupt nichts mit dem Vorgang des Rücktritts des Innenministers zu tun hat und einen völlig anderen Sachverhalt betrifft, der weiterhin Gegenstand eines laufenden Strafverfahrens ist, für dessen Beschuldigten auch weiterhin  die Unschuldsvermutung gilt. Es dürfte auch völlig unstreitig sein, dass Herr Grote diese Chats nicht kennt, die somit auch mit seiner Amtsführung und den Umständen seiner Ablösung nicht das geringste zu tun haben.
Weiter ist festzustellen, dass der Vorhalt aus einer dubiosen Quelle stammt und schon deshalb die Authentizität nicht garantiert ist und das ganze offensichtlich auch das Ergebnis einer strafbaren Handlung, nämlich der Verletzung von Dienstgeheimnissen  darstellt, der gleiche Straftatbestand, der übrigens dem beschuldigten Polizeibeamten zur Last gelegt wird.

Ich finde es erstaunlich, dass der Kollege, der immerhin innen- und rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist, sich auf so etwas einlässt und diesen hochgradig unseriösen Vorgang auch noch dadurch quasi legalisiert, dass er diesen Vorhalt aufgreift und den Inhalt aus Sicht seiner Fraktion bewertet. Ich frage mich,  wie dieser Kollege, der von Beruf Rechtsanwalt ist, reagieren würde, wenn er sowas über einen Mandanten, den er in einer Strafsache verteidigt, in der Zeitung lesen müsste. Ob unter solchen Umständen noch ein faires Verfahren garantiert werden kann, darf wohl mit Recht bezweifelt werden.   Vielleicht sollte man weniger über theoretische Gefahren für den Rechtsstaat in diesem Land schreiben, sondern praktisch etwas dagegen tun. Die öffentliche Bewertung von Beweismitteln in einem laufenden Strafverfahren durch Dritte, die aus gutem Grund nur durch einen Gerichtsbeschluss überhaupt erlangt werden dürfen und vor der Hauptverhandlung strengster Vertraulichkeit unterliegen, ist aus meiner Sicht jedenfalls kein Beitrag zur Stärkung des Rechtsstaates.

3. Nebelkerzen der Landesregierung

 

Im vergangenen Pressegespräch haben wir bereits dargestellt, dass nach unserer Wahrnehmung von Seiten der Landesregierung einiger Aufwand betrieben wurde, um Dinge in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Besonders auffällig war die Schilderung des Versuchs, Daten der Dienstgeräte des ehemaligen Innenministers zu rekonstruieren. Wir haben den Ministerpräsidenten gefragt, ob – wie von Herrn Grote geschildert – zwischen dem ehemaligen Innenminister und dem IT-Dienstleister der Landesregierung eine Rücksprache zur Zurücksetzung der Dienstgeräte in den Werkzustand erfolgte. Der Ministerpräsident verweist dafür an den Umweltminister, der antwortet, dass „eine solche Weisung“ nicht erfolgte. Damit wird unsere Frage leider nicht beantwortet, denn nach einer Weisung hatten wir an keiner Stelle gefragt. Da uns nicht plausibel erscheint, dass die Rücksprache mit Dataport der Phantasie des ehemaligen Innenministers entsprungen ist, muss hier dringend Klarheit geschaffen werden, weil nach wie vor die Vermutung im Raum steht, dass in diesem Punkt ein bewusst falscher Anschein erweckt werden sollte.

Der Ministerpräsident hat auf unsere Nachfrage nach der Möglichkeit der Rekonstruktion bzw. Wiederherstellung der Daten der Dienstgeräte unter anderem darauf verwiesen, dass er von Herrn Grote am 28. April Teile der Chats zwischen dem ehemaligen Innenminister und Herrn Modrow gezeigt bekommen habe. Die betreffenden Passagen gingen über das hinaus, „was an Kommunikation zwischen einem Minister und einem Journalisten noch angängig ist“.

Es ist noch zu klären, auf welcher Grundlage der Ministerpräsident zu dieser Einschätzung kommt.

4. Fazit

Die Landesregierung hat die Möglichkeit, für Klarheit zu sorgen leider nicht genutzt. Wesentliche Fragen sind nicht, oder aber bewusst irreführend beantwortet worden.

Das betrifft eine Reihe von Aspekten, besonders bemerkenswert ist aber, dass wir keine Antwort darauf erhalten haben, warum die gravierenden Vorwürfe gegenüber dem Innenminister, die der Chef der Staatskanzlei schriftlich fixiert hat keinen Eingang in die finale Fassung der Rücktrittserklärung fanden. Dafür gibt es aus unserer Sicht zwei mögliche Erklärungen. Möglichkeit 1: Es war taktisch motiviert, eine andere Erklärung zu suchen um die Öffentlichkeit über die wahren Gründe des Rücktritts im Unklaren zu lassen. Dann hätte der Ministerpräsident Parlament und Öffentlichkeit belogen und muss sich dafür entschuldigen, nicht zuletzt bei Herrn Grote. Möglichkeit 2: Der Ministerpräsident teilte die von seinem Chef der Staatskanzlei festgehaltenen Vorwürfe ausdrücklich nicht und stand und steht damit nicht zuletzt auch zur Entscheidung bezüglich der Ablösung der Polizeispitze. Dann muss der Ministerpräsident dies in aller Deutlichkeit öffentlich klar stellen, auch um Unruhe in der Landespolizei zu vermeiden, die durch die von uns aufgedeckten Formulierungen des Chefs der Staatskanzlei verursacht wurden. Ob dann allerdings jemand an zentraler Stelle weiterhin als Staatssekretär tätig sein kann, der in einer so wichtigen Frage eine diametral andere Auffassung als der Ministerpräsident hat, sollte sich von selbst beantworten. Der Ministerpräsident wäre klug beraten in der Sommerpause an dieser Stelle für Klarheit zu sorgen.

Was das beunruhigende Nahverhältnis von Staatskanzlei und Staatsanwaltschaft betrifft, so ergeben sich aus der Akteneinsicht und den Antworten auf unsere Fragen immer noch keinerlei Antworten dafür, was die Oberstaatsanwältin Hess bei solchen Besprechungen, die zur Kabinettsbildung führten, in der Staatskanzlei verloren hatte. Aus all dem ergeben sich nach wie vor nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Oberstaatsanwältin wurde wie auch immer motiviert politisch belastendes über den unbescholtenen Innenminister zusammenzutragen bzw. zu „erhärten“ (siehe zweiter BeStra-Bericht). Da ist es besonders interessant, welchen Informationsaustausch es zwischen der leitenden Oberstaatsanwältin und der Justizministerin gegeben hat. Die ehemalige Justizministerin hat angegeben, die Ermittlungsakten nicht zu kennen, was das ganze noch fragwürdiger macht. In diesem Fall hätten wir es mit einem eklatanten Missbrauch der Justizbehörden zu tun, für den der Ministerpräsident die politische Verantwortung zu tragen hätte.

Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass die Oberstaatsanwältin „eigeninitiativ“ gegen den ehemaligen Innenminister tätig geworden ist, obwohl dieser im Verfahren Nommensen weder Zeuge, noch Opfer und schon gar nicht Tatverdächtiger ist. In diesem Fall wäre das ebenso ein Missbrauch der Justizbehörden in unmittelbarer politischer Verantwortung der früheren Justizministerin, die den Innenminister im Amt beerbt hat. Auch hierfür läge die politische Gesamtverantwortung beim Ministerpräsidenten. Im Übrigen fragt man sich, wofür der Ministerpräsident eine Justizministerin, die Volljuristin ist, braucht, wenn selbst triviale Sachverhalte wie die dürre Presseerklärung zur Kabinettsumbildung der Beratung durch die Leitende Oberstaatsanwältin bedürfen.

Die SPD-Fraktion wird beantragen, unmittelbar nach der Sommerpause im Innenausschuss den Ministerpräsidenten, die ehemalige Justizministerin, den ehemaligen Innenminister, den Chef der Staatskanzlei, den Generalstaatsanwalt, den Regierungssprecher und die Leitende Oberstaatsanwältin aus Kiel in den Innenausschuss zu befragen, damit wir dort die Antworten bekommen, die schriftlich nicht gegeben wurden.

 

Zuvor:

Erkenntnisse aus der Akteneinsicht zur Kabinettsumbildung und der Entlassung von Ex-Innenminister Hans-Joachim Grote

 

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