Die Pflegeberufekammer ist für alle Berufsgruppen der Pflege und für alle Mitglieder da – BLOG

Bild: sabinevanerp (Pixabay)

Seit über 100 Jahren fordern beruflich Pflegende eine eigene Kammer. Ich kenne aus eigener Berufserfahrung die Diskussion seit den neunziger Jahren. Der deutsche Pflegerat, der Zusammenschluss sämtlicher Pflegefachverbände, fordert die Einrichtung der Pflegekammern seit Jahren einstimmig, es ist also keine politische Idee. Die SPD-SH hat die Forderung aus der Berufsgruppe aufgenommen. Uns ist dabei bewusst gewesen, dass nicht alle Berufsangehörigen den Wunsch nach einer Kammer teilen, deshalb gab es im Vorfeld eine repräsentative Umfrage. Da es bislang keine Registrierung der Pflegenden gibt war es nicht möglich alle persönlich zu befragen. Es wurde im Vorfeld sehr viel informiert, allerdings wissen wir, dass die Informationen nicht überall verteilt wurden und zum Teil blockiert wurden.

Wir haben die Kammer beschossen, weil wir der Überzeugung sind, dass die beruflich Pflegenden am besten wissen was gute Pflege wirklich ist und sie über die Inhalte ihrer Arbeit zukünftig selber bestimmen sollen.

Zurzeit ist die Pflege fremdgesteuert, insbesondere wirtschaftliche Interessen spielen dabei eine große Rolle. Wiederum Andere reden über die Pflege und meinen damit aber oft nur ihre eigenen Interessen.

Mit der Einrichtung der Pflegeberufekammer hat die Berufsgruppe Pflege erstmalig einen eigenen Ansprechpartner der ausschließlich ihre Interessen und damit auch die Interessen der Pflegebedürftigen vertritt. Die Pflegenden können sich in Sachen Fort– und Weiterbildung, auch mit dem Blick auf die kommenden Herausforderungen einer immer älteren Gesellschaft, beraten lassen. Alle Bürger*innen haben das Recht nach dem aktuellen wissenschaftlichen Stand versorgt zu werden. Die Kammer wird zukünftig für Fort– und Weiterbildung zuständig sein. Da die beruflich Pflegenden heute schon verpflichtet sind sich regelmäßig fortzubilden (und es ja auch tun) wird es in dem Teilbereich nur eine organisatorische Änderung geben.

Erstmalig haben die Pflegenden eine eigene Beschwerdestelle, an die man sich bei unsachgemäßen Rahmenbedingungen seitens des Arbeitgebers wenden kann.

Die Kammer regelt in einer Berufsordnung was die Vorbehaltsaufgaben der Pflege sind und die ethischen Grundsätze. Die Berufsgruppe hat selber die Übersicht wo Bedarfe sind, weil neue Versorgungen möglich werden und der medizinische Fortschritt sich weiterentwickelt hat. Die Kammer kann Verordnungen erlassen die bindend für die Berufsgruppe sind. Dies bedeutet, dass die Arbeitgeber*innen künftig diesen Verpflichtungen nachkommen müssen. Tun er es nicht, werden sie es zukünftig schwer haben Personal zu finden.
Das ist übrigens einer der Hauptgründe warum die besonders großen Arbeitgeber*innen und ihre Verbände so vehement gegen die Kammer sind, sie befürchten Einfluss zu verlieren.

Die Unzufriedenheit der meisten Pflegekräfte ist doch deshalb so hoch, weil die Schere zwischen den eigenen ethischen, fachlichen und menschlichen Ansprüchen und der Realität weit auseinanderklafft. Die bindende Funktion einer Berufsordnung die auch die Arbeitgeber zu berücksichtigen haben wird an der Situation nachhaltig etwas ändern. Eine Kammer ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Es gibt die Ärztekammer, die Apothekerkammer, Psychotherapeutenkammer, sie geben die inhaltliche Ausführung der jeweiligen Tätigkeiten vor. Die Berufsgruppe Pflege ist die größte Gruppe im Gesundheitssystem – warum statten wir alle anderen medizinischen Berufsgruppen mit den Rechten der Selbstbestimmung aus und nur die Pflege nicht? Die größte Gruppe, ohne die in der Gesundheitsversorgung nichts geht, überlassen wir aber der Fremdbestimmung.

„Auch die meisten Ärzte sind Angestellte“, das immer wieder genutzte Argument zählt nicht. Mitglieder der Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein sind Personen, die in Schleswig-Holstein den Beruf der Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege und der Gesundheits und Kinderkrankenpflege ausüben, also mindestens eine 3-jährige Berufsausbildung mit einem Examen abgeschlossen haben oder einen Pflegeberuf studiert haben. Sie üben damit einen Heilberuf aus und haben deshalb das Recht auf eine eigene Kammer, Die Assistenzberufe
(Altenpflegehelfer/in, Krankenpflegehelfer/in) sind zwar wichtige unverzichtbare Partner*innen in der Pflege, sind aber keine anerkannten Heilberufe. Sie haben laut Gesetz, die Möglichkeit freiwilliges Mitglied zu werden, umso ebenfalls von den Strukturen profitieren zu können.

Die Vertreter*innen der Kammer werden von ihren Mitgliedern demokratisch gewählt. Sie  arbeiten ehrenamtlich und bekommen eine Aufwandsentschädigung, über die die  Ärztevertreter*innen nur müde lächeln würde. Jedes Mitglied kann sich an der Arbeit der Kammer beteiligen und sich mit ihrem Fachwissen einbringen. Das Land hat der Pflegeberufekammer per Gesetz hoheitliche Aufgaben aus der Überzeugung übertragen, dass die Berufs-gruppe ihre Angelegenheiten am besten selbst regeln kann. Das ist auch die Begründung warum alle Berufsangehörigen Mitglied der Kammer sein müssen. Eine Freiwilligkeit, wie z.B. der Bayerische Pflegering, ist keine Verpflichtung die Pflege an Entscheidungen zu beteiligen. Die Erfahrungen aus Bayern zeigen deutlich, dass dies nicht der richtige Weg ist. Nur ein Bruchteil der Pflegenden haben sich dort freiwillig gemeldet. In Bayern bestimmt weiter die oft profitorientierte Arbeitgeber*innenlobby.

Die Pflegeberufekammer ist für alle Berufsgruppen der Pflege und für alle Mitglieder da. Die Kammer ist somit erstmalig fester Ansprechpartner für die Politik, denn nur sie vertritt die Interessen der Pflegenden, auch in der Gesellschaft und gegenüber Krankenkassen in allen Fragen die die Pflege betreffen.

Im Bereich der Pflege war bisher kein Ansprechpartner vorhanden, der überhaupt legitimiert war für die Berufsgruppe der Pflegenden zu sprechen. Arbeitgeber*innen, Kassen und Gewerkschaften sind es nicht. Der heftige Protest besonders vieler Arbeitgeber*nnen gegen die Kammer zeigt deutlich, dass ihre Interessen oft nicht mit denen der Berufsgruppe Pflege einher gehen. Der politische Einfluss der der Kammer wird daher zukünftig wachsen.

Die Pflegeberufekammer ersetzt nicht die Arbeit der Gewerkschaft. Ihre Aufgabe bleibt  weiterhin äußerlichen Rahmenbedingungen für die Pflege, Arbeitszeiten, Löhne usw. zu  verhandeln. Deshalb brauchen wir eine starke Gewerkschaft. Dafür werbe ich sehr! Aber wie ein Dekubitus versorgt wird, bzw. wie er gar nicht erst entsteht, ist kein Gewerkschaftsthema.

Für das Agieren von ver.di gegen die Pflegeberufekammer habe ich keinerlei Verständnis. In anderen europäischen Ländern gibt es ein effektives Miteinander der Selbstverwaltung und der Gewerkschaft. Auch ersetzt die Kammer nicht die Berufsverbände, die sich für die jeweiligen fachlichen Aspekte einsetzen, beispielsweise Psychiatrie oder Intensivpflege. Der Zusammenschluss aller Berufsverbände – der deutsche Pflegerat, fordert seit Jahren die Gründungen von Kammern und auch einer Bundespflegekammer.

Diese hat im Juni 2020 ihre Arbeit aufgenommen. Das bedeutet, dass die Pflege endlich auch ihren Einfluss auf Bundesebene geltend machen kann.

Ein immer wiederkehrendes Argument gegen die Kammer ist die Finanzierung durch die  Mitglieder selbst. Ein Geburtsfehler der Kammer war es, dass das Land die Kammer nicht aus-reichend mit Geld für die Entstehungsphase ausgestattet hat, weshalb die Kammer 2019 in finanzielle Schieflage gekommen ist. Es bleibt aber das Hauptargument, dass die Kammer, wie alle anderen Kammern auch, politisch unabhängig arbeiten soll und nicht von wechselnden  politischen Mehrheiten und der jeweiligen Haushaltslage des Landes abhängig sein soll.

Für das Jahr 2020 wurden erstmalig Beiträge erhoben. Die Aufforderung zur Selbsteingruppierung in einem vereinfachten Verfahren sind Anfang Juli an die Mitglieder verschickt worden. Alle Mitglieder werden zunächst automatisch mit einem durchschnittlichen Jahresbruttoeinkommen (30.001 – 35.000 Euro) in einen Basisbeitrag eingestuft. Der Beitrag liegt in dieser Stufe bei rund 9,90 Euro pro Monat. Wer weniger verdient kann sich unkompliziert anders einstufen lassen. Wer mehr verdient muss sich anders einstufen. Zukünftig werden Monats und Quartalszahlungen möglich sein. Ebenfalls sind Härtefallregelungen möglich.

Hier finden Sie einen Link zur Beitragstabelle. Weitere Antworten auf häufig gestellte Fragen und die entsprechenden Gesetzestexte sowie aktuelle Informationen sind auf der Internetseite der Pflegeberufekammer nachzulesen.

Natürlich ist die Pflegeberufekammer kein Allheilmittel für alle Probleme in der Pflege. Und natürlich wird sie nicht sofort alles regeln und verbessern können. Sie braucht die Zeit des organisatorischen Aufbaus, aber nach zweieinhalb Jahren ihre Wichtigkeit überhaupt infrage zu stellen ist eine absolute Respektlosigkeit gegenüber der professionellen Pflege.

Wir brauchen verantwortungsvolle Arbeitgeber*innen, starke Gewerkschaften und eine Gesell-schaft die sich fragen lassen muss, was ihnen gute Pflege wirklich wert ist. Zudem bedarf es ei-ne Politik, die nachhaltig für die Rahmenbedingungen der Gesundheitsversorgung der Bür-ger*innen einsteht und eben für die Selbstverwaltung in der Pflege.

Ich denke, dass die Corona- Pandemie gezeigt hat, dass wir das Gesundheitswesen neu denken und organisieren müssen. Gesundheit und Pflege muss öffentliche Aufgabe sein und darf sich nicht an wirtschaftliches Zwängen orientieren.
Einmalzahlungen wie der Pflegebonus und der gesellschaftliche Applaus sind zwar gut gemeint, helfen aber nicht den Beruf dauerhaft zu sichern.

Die Pflege braucht endlich einen gesetzlichen Personalbemessungsschlüssel in allen Bereichen der stationären und ambulanten Pflege der den pflegerischen fachlichen Bedarf berücksichtigt. Dringend notwendig ist eine dauerhafte und nachhaltige Erhöhung der Gehälter, eine Steigerung der Zulagen für familienunfreundliche und gesundheitsschädigende Schichtdienste sowie Zulagen für Wochenend- und Feiertagsdienste. In der Metallbranche ist dies selbstverständlich.

Wie gesagt, die Kammer alleine wird es auch nicht regeln können, aber ich bin davon überzeugt, dass wir uns in zehn Jahren fragen werden, warum wir den Einfluss der Pflegenden nicht früher organsiert haben.

Es wird im ersten Quartal 2021 eine Umfrage unter den Kammermitgliedern geben. Die jetzige Landesregierung hat sie quasi mit einem finanziellen Zuschuss erpresst. CDU und FDP lehnen die Kammer ab, die Grünen verhalten sich zurzeit still. Diese Parteien würden es nicht wagen, mit den anderen Heilberufekammern so umzugehen, abgesehen davon, dass die anderen Kammern sich das nicht gefallen lassen würden.

Ich freue mich sehr, dass andere Bundesländer eine Pflegeberufekammer einrichten. Der jüngste Beschluss kommt aus Nordrhein-Westfalen. Baden-Württemberg ist auf dem Weg und in Rheinland- Pfalz und Schleswig-Holstein sind die Kammern tätig. Der niedersächsische Beschluss ist eine Katastrophe für die Pflegeentwicklung im Land.

Schleswig-Holstein hatte als erstes Bundesland die Einrichtung der Pflegeberufekammer beschlossen. Darauf sollten wir stolz sein.

Der Zug rollt auf internationaler Ebene schon lange und auf nationaler Ebene seit einigen  Jahren. Wir sollten uns nicht in der Entwicklung zur politischen Einflussnahme und zu noch mehr Professionalisierung selber abhängen. Ich hoffe, dass möglichst viele an der Befragung, die am 18.02. startet, teilnehmen. Vielleicht sind nicht alle 100 % überzeugt, die Zeit bis hierhin war ja auch viel zu kurz. Aber eine Stärkung der Pflege geht nur aus der Berufsgruppe heraus.

Sollte die Mehrheit der Abstimmenden sich gegen den Fortbestand der Pflegeberufekammer aussprechen, fehlt mir trotzdem die Phantasie, dass der Landtag, der das Gesetz zur Stärkung der Pflege vor wenigen Jahren erst beschlossen hat, es in Zeiten einer Pandemie wieder rück-gängig macht.

Ein Blogbeitrag von Birte Pauls:

Birte Pauls